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Edmonton/Toronto –Der möglichst rasche Beginn einer Nierenersatztherapie hat in einer randomisierten Studie die Überlebenschancen von Intensivpatienten nicht verbessert. Ein Nachteil bestand laut der Publikation im New England Journal of Medicine (2020; 383: 240-251) in einem höheren Anteil von Patienten, die dauerhaft dialysiert werden mussten.

Ein akutes Nierenversagen ist bei Intensivpatienten ein ungünstiges prognostisches Zei­chen. An vielen Zentren wird deshalb ein frühzeitiger Beginn einer Nierenersatztherapie (Dialyse) zu einem Zeitpunkt angestrebt, an dem noch keine metabolischen Auswirkun­gen (Azidose, Hyperkaliämie oder Urämie) des Nierenversagens aufgetreten sind.

Die STARRT-AKI-Studie („Standard vs. Accelerated Initiation of Renal Replacement Thera­py in Acute Kidney Injury“) hat diese Strategie des frühen Dialysebeginns mit einer ab­war­tenden Haltung verglichen, bei der erst mit der Dialyse begonnen wird, wenn das Nierenversagen länger als 72 Stunden anhält oder vorher metabolische Komplikationen auftreten.

An der Studie beteiligten sich 168 Zentren aus 15 Ländern (deutsche Beteiligung Coburg und Münster). In 4 Jahren wurden 3.019 Intensivpatienten randomisiert, bei denen die Laborkriterien eines akuten Nierenversagens erfüllt waren. Dies waren ein mindestens zweifacher Anstieg des Serumkreatinins beziehungsweise ein Serumkreatinin von 4 mg/dl oder mehr mit einem Anstieg um mindestens 0,3 mg/dl oder eine Harnaussschei­dung von weniger als 6 ml/kg Körpergewicht in den letzten 12 Stunden.

Diese Patienten wurden auf einen möglichst raschen Dialysebeginn oder auf eine abwar­tende Haltung randomisiert. Bei der zweiten Strategie sollten die Ärzte abwarten, ob es zu einer metabolischen Entgleisung mit einem Anstieg des Kaliums auf 6,0 mmol/l oder höher, einem Abfall des pH-Werts auf unter 7,20 oder des Bikarbonats auf weniger als 12 mmol/l kommt oder ob Hinweise auf ein schweres Atemversagen bestanden.

Wie das Team um Sean Bagshaw von der Universität von Alberta in Edmonton und Ron Wald vom St. Michael's Hospital in Toronto berichten, wurde bei der beschleunigten Strategie bei 1.418 Patienten (96,8 %) median nach 6,1 Stunden mit der Hämodialyse begonnen, während die Nierenersatztherapie in der zweiten Gruppe nur bei 903 Patienten (61,8 %) durchgeführt wurde mit einem medianen Beginn nach 31,1 Stunden.

Primärer Endpunkt der Studie war ein Tod des Patienten innerhalb der ersten 90 Tage. Er wurde in der Gruppe mit beschleunigter Strategie bei 643 Patienten (43,9 %) erreicht gegenüber 639 Patienten (43,7 %) in der Vergleichsgruppe mit abwartender Haltung. Damit war kein Vorteil der sofortigen Dialyse erkennbar. Das relative Risiko betrug 1,00 mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,93 bis 1,09.

Die abwartende Haltung hat nicht nur ein Drittel der Patienten vor einer Dialyse bewahrt. Auch der Anteil der überlebenden Patienten, die dauerhaft dialysiert werden mussten, war geringer. Nach dem frühzeitigen Dialysebeginn wurden nach 90 Tagen noch 85 von 814 Patienten (10,4 %) dialysiert gegenüber 49 von 815 Patienten (6,0 %) in der Gruppe mit abwartender Strategie (relatives Risiko 1,74; 1,24 bis 2,43).

Hinzu kam eine erhöhte Rate von unerwünschten Ereignissen. Sie traten bei 346 von 1.503 Patienten (23,0 %) in der Gruppe mit beschleunigter Strategie auf gegenüber 245 von 1.489 Patienten (16,5 %) in der Gruppe mit abwartender Strategie. Am häufigsten waren Blutdruckabfälle (8,7 versus 5,6 %) und eine Hypophosphatämie (7,5 versus 4,2 %).

Die Studienergebnisse sprechen damit gegen einen frühzeitigen Beginn der Dialyse, der die Prognose der Patienten nicht verbessert und die Erholung der Nierenfunktion sogar behindern kann.

 

Quelle: aerzteblatt.de / 2020-07-24